Im Rahmen des Projektes SOB-Seis SoWi sollen konzeptionelle und methodische Grundlagen entwickelt werden, um auf die sich dramatisch verschärfende Fachkräftesituation im Bereich der Sozialwirtschaft zu fokussieren.
Aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung liegen bisher lediglich grobe Daten zur gegenwärtigen Lage und zum künftigen Bedarf vor. Die Sozialwirtschaft ist, wie kein anderer Sektor, durch föderale und subsidiäre Strukturen geprägt und abhängig von wirtschaftlichen und politischen Bedingungen auf regionaler/kommunaler Ebene. Sie ist zudem in hohem Maße systemrelevant, gekennzeichnet durch einen überdurchschnittlich hohen Anteil weiblicher Beschäftigter und einer entsprechend hohen Teilzeitquote. Daher bedarf es eines wesentlich genaueren Blicks in die verschiedenen Regionen, um die Situationen präzise erfassen und adäquate Lösungen bzgl. der Gewinnung, Qualifizierung und Sicherung entwickeln zu können. Der Fachkräfteseismograph soll hier einen zentralen methodischen und inhaltlichen Beitrag leisten. Dabei geht es nicht nur um die Anzahl der Arbeitsplätze. Vielmehr finden qualitative Aspekte, wie sich verändernde Anforderungen an Qualifikation, Kompetenzen und Fähigkeiten aufgrund von Digitalisierung, Diversifizierung, Demographie, Vereinbarkeitsthematiken, gesellschaftliche Transformationsprozesse, Berücksichtigung. Des Weiteren soll geklärt werden, inwieweit eine Akademisierung in den untersuchten Professionsgruppen erstrebenswert ist.
Gesellschaftliche und politische Veränderungen wirken unmittelbar auf die Handlungsfelder der Sozialwirtschaft ein und erfordern dynamische Anpassungsleistungen von Organisationen und MitarbeiterInnen, um zielgruppen- und klientenspezifisch richtig zu agieren, aber auch, um angemessene Rahmenbedingungen für die Fachkräfte zu schaffen, die in ganz besonderer Weise als individuelle Personen gefordert sind, professionelle soziale Dienstleistungen in konkreten, auf einer Vertrauensbasis gründenden Arbeitsbeziehung zu erbringen.
Zuvorderst soll im Rahmen des Projektes ein adäquates
Erhebungsinstrument zur wiederholten (online-) Befragung von Einrichtungen,
Trägern, Organisationen, Institutionen und Unternehmen im
sozialwirtschaftlichen Bereich in der Planungsregion 18plus, d.h. inkl. der
angrenzenden Regionen in Österreich sowie der Grenzregionen zur Planungsregion
18 entwickelt werden.
Ziel dieser regelmäßigen Erhebung ist es, die
Veränderungsbewegungen am Arbeitsmarkt für angehende
Pflegewissenschaftler*innen, Manger*innen in der Gesundheitswirtschaft,
Sozialarbeiter*innen, Kindheitspädagogen*innen und Angewandte Psychologen*innen
frühzeitig zu erkennen. Zudem soll die Befragung Aufschluss geben über die
sich wandelnden Anforderungen in der Praxis (wie z. B. aktuell durch die
Corona-Krise, die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine und anderen
Krisengebieten der Welt, die Digitalisierung). Auf Basis dieser Rückmeldungen
aus der Fachpraxis, die sich zudem hinsichtlich des Bedarfs an akademischer
Aus-, Fort- und Weiterbildung äußern, soll eine Einschätzung zum aktuellen und
zukünftigen Studienangebot abgeben werden und das Interesse an gemeinsamen
Forschungs- und Entwicklungsprojekten eruiert werden. Es gilt, das akademische
Lehrangebot an den Standorten Mühldorf und Rosenheim zu evaluieren und
bedarfsorientiert anzupassen und weiterzuentwickeln.
Die Studie sieht einen Multi-Methoden-Mix vor. In einer ersten Erhebungsphase ist geplant, quantitative Online-Befragungen zur gegenwärtigen Fachkräftesituation und deren mittelfristige Entwicklung sowohl bei Einrichtungen, Trägern und Organisationen der Sozialwirtschaft, bei den Fachkräften selbst, als auch bei den entsprechenden Arbeitnehmervertretungen und Berufsverbänden in der Planungsregion 18plus durchzuführen. Die Erhebung erfolgt in Kooperation mit Landkreisen, Gemeinden der Untersuchungsregion, sowie mit lokalen Arbeitnehmervertretungen und Berufsverbänden. Hieraus ergibt sich ein empirisch fundiertes, detailliertes Bild über die regionale Ausgangssituation. Es werden Herausforderungen in der Praxis detektiert, bereits tätige Fachkräfte können sowohl quantitativ, als auch hinsichtlich ihrer bisherigen und ihrer angestrebten Qualifikation und Kompetenzen erfasst werden.
Langfristig soll ein adäquates Erhebungsinstrument zur wiederholten Online-Befragung generiert werden, das überregional eingesetzt werden kann, um regelmäßig Veränderungsbewegungen auf dem Arbeitsmarkt aufzudecken und Erkenntnisse über die sich wandelnden Anforderungen, die z.B. konjunkturbedingt, kriegsbedingt oder durch eine Pandemie entstehen, zu gewinnen. So soll ein s.g. seismographisches Netz entstehen. Ein Vergleich zwischen strukturstarken und strukturschwachen Regionen soll so ermöglicht werden.
Um beantworten zu können, welche Anpassungsbedarfe langfristig nötig sind und wie langfristig Rahmen- und Arbeitsbedingungen gestaltet werden sollen, wird v.a. auf qualitative Methoden, wie Experteninterviews, Fokusgruppen und Gruppendiskussionen mit einschlägigen Akteuren der Sozialwirtschaft, zurückgegriffen.
Mithilfe des Seismographen lassen sich die Entwicklungen im sozialpolitisch und gesellschaftlich höchst relevanten Arbeitsmarktsegment der Soziwirtschaft kleinräumig und bei regelmäßiger Erhebung zukünftig auch frühzeitig(er) erkennen. Durch die multiperspektivische Ausrichtung auf regionale Spezifika, Einbezug der Arbeitgeber- wie auch der Arbeitnehmerseite, sowie der Beteiligung einschlägiger Bildungsträger und (kommunal)politischer Akteure in der Region, eröffnet das Projekt die Option zur Schaffung einer regionenbezogenen „konzertierten Aktion Sozialwirtschaft“.
Zentral ist
dabei der Aufbau einer fundierten, detailscharfen empirischen Datenbasis, die
als langfristige Wiederholungsbefragung kontinuierlich aktuelle Informationen
für das Handeln der Verantwortlichen bereithält. Die strategische Förderung von
Kooperation und Vernetzung der Akteure in der Region und die gemeinsame,
systematische Entwicklung und Anpassung von Strategien zur Fachkräftegewinnung,
-qualifizierung und -sicherung unter Berücksichtigung der spezifischen
Bedingungen vor Ort erlaubt ziel- und passgenaue Lösungsansätze. Es profitieren
insofern zunächst die Akteure und Betroffenen vor Ort, bevor der Seismograph
netzartig in andere Regionen übertragen werden kann, um flächendeckend, aber
präzise genug, die Entwicklungen in der Sozialwirtschaft erfassen zu können.